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Interview mit Emmanuel Mir

 

Hannah Schneider (geb. 1984) studierte Bildhauerei und wurde Meisterschülerin von Ulrike Großarth und Monika Brandmeier an der HfBK Dresden. Nach Residencies in Italien, Amsterdam und Österreich hat sie sich in Köln etabliert. Ihre künstlerische Arbeit ist geprägt von einer besonderen Aufmerksamkeit für die physischen Eigenschaften des Raums sowie für ephemere Vorgänge. In Objekten, Skulpturen, Installationen und performativen Filmarbeiten lotet sie, auch über die eigene Körperlichkeit, das Verhältnis zum Umraum aus.

Emmanuel Mir: Wir befinden uns in deinem Atelier, in einem nüchternen, kleinen Büroraum am Rande von Köln, der nicht gerade vor atmosphärischer Dichte sprüht. Ich bin erstaunt, dass du hier arbeitest, da ich weiß, wie hoch deine Raumsensibilität ist.

>Hannah Schneider: Hier würde ich auch keine Ausstellung machen! Aber zum Arbeiten mag ich den relativ zentral zu Köln-Nippes gelegenen Raum mit dem Korkboden, den großen Fenstern und der cleanen Schrankwand in der man alles verschwinden lassen kann, weil ich eine ruhige Arbeitsumgebung brauche. Manchmal ist in meiner künstlerischen Arbeit schon so viel los, dass ich eine äußerliche Ordnung brauche. Die Neutralität des Raumes ist sehr wohltuend. Und letztendlich kommt es auf die kleine Details an. Schau dir mal zum Beispiel den Glastisch an, der die Birken vom Hof wiederspiegelt. So hole ich mir ein Stück Außenwelt ins Atelier.

EM: Auf die (wie auch immer definierte) Neutralität eines Raumes oder eines Objektes, wollte ich eh eingehen, weil dies mir eine wichtige Komponente deiner Arbeit zu sein scheint. Aber verbleiben wir zunächst bei der eben erwähnten Kommunikation zwischen Außen- und Innenraum, die auch ein wesentlicher Topos deines Werkes ist. Das wird gerade in deinem aktuellen Projekt sichtbar. Kannst du mehr darüber erzählen?

HS: Es handelt sich um einen Wettbewerb in Torgau. Dort steht die ziemlich heruntergekommene Nikolaikirche aus dem 13.Jahrhundert, die demnächst zu einer repräsentativen Reformationskirche saniert werden soll. Die Kirche ist ein eigenartiges, abgehalftertes Gebäude mit komplizierter Geschichte. Sie wurde im Laufe der Zeit häufig neu- und umgebaut, war ein Gefängnis in DDR-Zeiten und ist jetzt ein Lagerraum. Irgendwann wurde sie vom sie nun einfassenden Rathausgebäude verdrängt und auf die Hälfte gekürzt. Ich habe mich auf die „Bruchkante“, die jetzige Front-Fassade mit ihren heterogenen Baustilen konzentriert. Der Plan ist, dass ich auf der schmalen Wandseite eine rechteckige Spiegelfläche aufziehe, die den Blick auf den historischen Fassadenteil der Kirche lenkt und somit die Bauepochen mehrerer Jahrhunderte spiegelt.

EM: Aber das Bild, das du mit der Spiegelung erzeugst, hängt stark von der Position des Betrachters ab.

HS: Klar.

EM: Der Spiegel ist in der Architektur der Spätmoderne ein oft und gerne verwendetes Material, das zwar fasziniert, aber abweisend-technoid und kalt wirkt. Du hattest es 2015 auch in einer anderen Arbeit „Facets“ im Museum Siegburg prominent eingesetzt, um die Umgebung des Ausstellungsortes mit einzubeziehen. Geht es dir in diesem Projekt in Torgau mehr um die Wiederherstellung der Fassade, wie du eben sagtest, oder eher um die metaphorischen Eigenschaften des Spiegels?

HS: Ich suche vor allem das Eigentypische des Gebäudes. Mir geht es nicht um eine Metapher der Moderne oder um die Beschäftigung mit einem bestimmten Material, sondern um die Besonderheit eines Ortes.

EM: Deine Intervention erinnert mich natürlich an ein Kirchenfenster. Und Kirchenfenster schaffen bekanntlich eine Durchdringung des Außenraums in den Innenraum; im speziellen Fall einer Kirche eine Verbindung des Himmels mit der Erde. War das auch ein Motiv deiner Reflektion?

HS: Interessanterweise gibt es an der Kirche im jetzigen Zustand, bis auf die drei runden Fenster seitlich, überhaupt keine Kirchenfenster. Aber mit diesem langgestreckten Spiegel-Rechteck, beginnend auf drei Meter Höhe, kann durchaus ein Kirchenfenster assoziiert werden. Die Verbindung zum Außenraum ist alleine dadurch präsent, dass sich abhängig vom Standort des Betrachters eben nicht nur die Basilika, sondern auch Teile des Rathausgebäudes und auch ein Stück Himmel spiegeln. Außerdem liegt über den einzelnen Spiegelnelementen ein Raster aus Holzmodulen, die in ihrer Charakteristik als Rahmenfragmente auch einen Innenraumaspekt beinhalten.

EM: Ich möchte noch ein wenig auf dieser metaphorischen Funktion der Reflektion herumreiten, egal ob sie Spiegelelemente impliziert oder nicht. Für deine Einzelausstellung im Künstlerforum in Bonn hast du auch eine Spiegelarbeit kreiert, die die Außenwelt aufgesogen und absorbiert hat.

HS: Ich würde die Ausstellung in Bonn ungern auf eine Spiegelarbeit reduzieren. Meine sechs Arbeiten sind für den Ort, die zentrale Halle des Künstlerforums entstanden und reflektieren im weitesten Sinne ihre Umgebung. Die einzelnen Arbeiten stehen zwar alle für sich und sind autonome Werke, sie bezogen sich aber jeweils auf die räumliche Situation und bildeten im Dialog miteinander die Raumkomposition „Fliehkräfte“. Die einzelnen Objekte verkörpern grundsätzliche physische Verhältnisse. Es ging um das Lasten, das Tragen, das Lehnen oder das Schwingen. Ich versuche mit solchen elementaren Eigenschaften umzugehen, die mir ein Stück weit vom Raum, hier vor allem als physikalischer Raum verstanden, vorgegeben werden.

EM: Das klingt nach der Herstellung einer Typologie aller Möglichkeiten, die ein Körper im Raum annehmen kann. Ist das ein roter Faden deiner Arbeit?

HS: In dieser Ausstellung war das ein Merkmal. Allerdings geht es mir eher um das körperliche Erfahren und das Ausloten des Raumes bzw. der räumlichen Begrenzungen. Aber als roten Faden würde ich mein grundsätzliches Interesse an Raum, Umgebung und Situationen bezeichnen. Daraus entwickeln sich dann häufig ortsspezifische Installationen oder auch ganz temporäre Interventionen und ephemere Einschreibungen, die meistens zu Filmarbeiten führen. Im Film lässt sich Zeit vermitteln – der Sonnenzyklus oder der Verlauf eines Hochwassers aufzeichnen.

EM: Ich würde gerne auf einen Aspekt zurückkommen, den du bereits angedeutet hast – es geht um diese „Zurückhaltung“ deiner Kunst. Ich habe den Eindruck, dass deine Objekte stets auf den umgebenden Raum verweisen und externe Zusammenhänge – meistens räumlicher Natur – umrahmen. Als ob sie Vermittler wären. Das ist nicht ganz spannungsfrei, weil du einen künstlerischen Gegenstand schon brauchst, um auf den Raum aufmerksam zu machen; andererseits müssen sich die Objekte stark zurücknehmen – genau so wie du dich als Künstlerin zurücknehmen musst – damit der Rezipient sich für die Spezifität des Ortes öffnet. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die Spuren deiner bildnerischen Arbeit gar nicht lesbar sind, wie traditionell bei der Minimal Art, mit der du offensichtlich verbunden bist.

HS: Ich versuche immer, mein „Material“ nicht zu überformen und schaue was der Ort bringt, bzw. was notwendig ist, um die Spezifität und Kontextualität sichtbar zu machen. Meistens ist es schon so, dass die Installationen nicht ganz einfach zu rezipieren sind, aber die Freilassung des Betrachters ist mir wichtig.

EM: Was meinst du damit?

HS: Die Arbeiten sind zwar so wie sie sind, aber der Betrachter muss sich dazu positionieren. Er muss aktiv werden, eine Wahrnehmung und ein Bewusstsein für die Umgebung entwickeln. Sonst klappt das nicht.

EM: Gibt es für deine Arbeit unmögliche Räume?

HS: White Cubes würde ich für Rauminstallationen nicht unbedingt bevorzugen, weil sie keine Andockpunkte bieten; für die Präsentation von Zeichnungen oder Filmarbeiten sind sie aber gut. Natürlich ist es toll, in einem speziellen Raum mit starker Wirkung zu arbeiten. Für den Film „Orbit“ habe ich im Museum Füssen eine Performance im Refektorium der ehemaligen Klosteranlage realisiert. Der ovale Saal mit freskierter Kuppel geht über zwei Ebenen und hat dadurch eine beeindruckende Höhe. Durch ein Loch für die ehemalige Lüstervorrichtung in der Decke habe ich mich aus fünfzehn Metern abhängen lassen. So schwebe ich dann knapp über dem Boden und rotiere sehr langsam in elliptischen Bahnen und lote so Form und Volumen des Raumes aus. In so einem Raum zu arbeiten ist ein Privileg.

EM: Vom Film zur Zeichnung, die ja für dich ein wichtiges Medium ist. Ich sehe hier eine Menge weiche, organische und einfache Formen, die du dem Anschein nach systematisch zeichnest…

HS: Das sind die aktuellen Zeichnungen, an denen ich gerade arbeite und die in die nähere Auswahl kommen. Ich bin eine verschwenderische Zeichnerin. Ich produziere enorm viel und am Ende selektiere ich streng und lasse nur wenige Zeichnungen gelten. Die Zeichnung ist bei mir eine Kernarbeit; sie ist das konstante Medium. In der Zeichnung entwickle ich intuitiv, nicht konzeptionell. Es ist mehr ein Denken über die Hand, über die Tätigkeit des Zeichnens…
Hier handelt es sich um Formabwicklungen von Gefäßrändern, in diesem Fall Ränder von Muscheln und Schnecken.

>EM: Was meinst du mit „Formabwicklung“?

HS: Es sind verschiedene Perspektiven der gleichen Form. Ein durchgehendes Objekt wird von verschiedenen Seiten erfasst. Wenn ich zum Beispiel Abwicklungen von Fingerhutöffnungen zeichne, bekomme ich komplexe Strukturen, die in der systematischen Abhandlung einer erkennbaren Logik folgen.

EM: Es geht dir aber nicht um die Vollständigkeit, oder?

HS: Nein, es geht nicht darum den Gegenstand wiederzugeben, mich interessiert lediglich eine bestimmte Formenvielfalt, die sich aus einem Detail, wie der Öffnung eines Gefäßes, ableiten lässt. Ich finde Hohlkörper interessant. Wenn ich hiervon nur die Ränder fokussiere und diese aus leicht variierenden Perspektiven betrachte, bekomme ich in der Aufzeichnung eine Systematik, die aber noch keine Rückschlüsse auf den Ausgangsgegenstand zulässt. Es geht also nicht um die Erkennbarkeit eines Objektes, lediglich um das Spezifische, die Schönheit der Form und etwas Wesentliches, das erst durch die Separierung und Vielfalt der Ansichten deutlich wird.

EM: Was ist der Impuls, eine Zeichnung anzufangen?

HS: Das ist unterschiedlich. Vor Ausstellungen zeichne ich viel, um mir Verhältnisse klar zu machen, um Proportionen auszuloten und ein Raumgefühl zu entwickeln. Die meisten Zeichnungen oder Zeichnungsreihen stehen allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit anderen Werkkomplexen; sie entstehen aus einem fortwährenden Klärungsbedürfnis heraus, dessen Fokus sich beständig wandelt. Letztlich geht es doch immer ums Verstehen.