Jochen Breme
Gedanken zum Werk von Hannah Schneider

 

Ein leerer Raum, eine weiße Wand, an der Decke Leuchtstoffröhren, in zwei Zeilen angeordnet, dazwischen, nicht ganz mittig, eine Uhr. Wo sich Wand und Boden berühren,  zeichnet sich, den Raumhorizont betonend, eine waagerecht gelagerte grafische Figur ab: ein unregelmäßiges Trapez, eine zu diesem schwebenden Umriss geschlossene Linie in leuchtendem Türkis. Die Künstlerin erscheint, trägt eine alte Zinkbadewanne in den Raum, stellt diese zunächst senkrecht neben  der Umrisslinie ab, kippt sie dann, legt sie randunter auf den Boden, passgenau in die lineare Umgrenzung, die sich dadurch als Kontur des Objektes erweist. Durch die leuchtende Kontur wirkt dieser Gegenstand wie der Räumlichkeit enthoben, flächig, hieroglyphenhaft. Die Künstlerin legt sich nun neben die Wanne, nimmt Maß, hebt das Objekt an, legt sich darunter.
Dabei bleibt die leuchtende Kontur unverändert, trennt sich also für einen Augenblick von ihrem Inhalt. Die Wanne birgt die Gestalt, beides wird von der Kontur umfasst. Im weiteren Verlauf der Performance wird die Wanne aufgerichtet, wieder passt sich der Körper  ein, diesmal im Profil stehend. Die Wanne wird um 90 Grad gewendet, wirkt wie eine Nische in der Wand, wieder von einer Lichtkontur umrissen. Die Künstlerin tritt hinein, das Objekt umzeichnet die Gestalt wie eine Aura, die sich nach oben   zum halbkreisförmigen Wannenrand hin weitet. Auch die umgekehrte Stellung – der gebogene Wannenrand unten – wird erprobt, ein Handstand zeigt, dass auch diese Figur stimmt, körperhaft ist. Oder: dass der Körper auch dieses Raummaß erfüllt, sich zu eigen macht.
Diese kurze, streng gesetzte und doch spielerische Videoperformance mit digitaler Einzeichnung („PassForm“, 2009) ist wie eine Formulierung der Basis des künstlerischen Werkes von Hannah Schneider: die Auslotung der räumlichen Bedingungen des körperlichen Seins. Wenn die Vehikel, vermittels derer die Künstlerin sich der Räumlichkeit des Körpers vergewissert, – Schlafsäcke, Wannen, Zelte – zunächst bevorzugt waagerecht gelagerte Hüllenobjekte sind, liegt die Assoziation von Sarkophagen und Grabkammern nahe. Hier scheint das Werk sich der Kultur zu erinnern, deren gewaltige Grabarchitektur wie ein Einmessen des Leibes in kosmische Raumverhältnisse gelesen werden kann: Ägypten. Auch die Zeichnungen, klar geführte Umrisslinien auf Papier, als Computerzeichnung, als Lichtprojektionen im Raum, weisen in ihrer an Hieroglyphen erinnernden Strenge in diese Richtung. Jedoch: die spielerische Leichte, die sich durch die Arbeiten von Hannah Schneider zieht, kontrapunktiert jene formale Reduzierung.

Die Künstlerin bewegt sich mit ihrem Werk auf einer Grenze und dies in mehrfachem Sinne. Sie hält nicht nur die Balance zwischen Formstrenge und spielerischer Leichte, zwischen maßvoller Konturierung und Phantasie ,  sondern berührt und verbindet bezüglich der künstlerischen Medien verschiedene Terrains: Bildhauerei, Grafik, Objektkunst, Performance, neue Medien. Diese Vielfalt der Mittel geht auf eine Dualität zurück, die Gegenstand vieler Werke der Künstlerin ist: Raum und Fläche, Skulptur und Zeichnung, Körper und Bild werden immer wieder neu in ihrem spannungsvollen Verhältnis zueinander befragt. In einer frühen Installation („Ohrenherzkammer“, 2005) hängen plastische Köpfe aus Betonguss von der Raumdecke, die Gesichter zum Boden gewandt, sie sind umrissen von räumlich-linearen Konturen aus feinem Draht. Die Ohren sind besonders betont, sind auffällig abgewinkelt, binden dadurch die Köpfe in eine imaginäre horizontale Ebene ein, in die sie hineinzulauschen scheinen. Die geschlossenen Augen geben diesem  Sichöffnen nach außen den Anschein einer Aktivität nach innen. Was hier eine zarte Andeutung erfährt, wird in der Installation „Bodenhaftung Oben Ohne“ (2006) zum ausgesprochenen Bild: in einem Raum aus körperhaften Mumienschlafsäcken aus Stuckgips, die am Boden liegen, werden Bilder an die Decke projiziert. Die Durchbrüche in der Gesichtszone, durch welche das Projektionslicht nach oben entlassen wird, zeigen Konturen von Tiergestalten, diese werden in skurilen Grafiken wie in einem spielerischen Reigen menschlichen Gestalten gegenübergestellt. Ein Elefant, ein Hund, ein Wal, eine Fledermaus – ein kleiner Tierkreis, aus dem Leibesinneren an die Decke gestrahlt. Eine horizontal sich ausbreitende Bildebene entspringt dem körperhaft geschlossenen Raum. Hier stehen sich allerdings nicht nur Skulptur und Grafik, Körper und Bild, Mensch und Tier, Seele und Kosmos gegenüber: die skizzenhaft-humoristische Leichtigkeit der Projektionen scheint die skulpturale Strenge und Bodenbindung der Schlafsackkörper aufzulösen, zu er-lösen.

In reichen Variationen werden die sich zu bedingen scheinenden Seinszustände der „Einkörperung“ (Schlafsack, Wanne, Zelt) und des sich in imaginären Räumen Bewegens thematisiert und aufeinander bezogen.
Eine Projektzeichnung zeigt eine Schlafsack-Gestalt, über der eine andere Gestalt, diese räumlich spiegelnd, in einem Flugsack unter einem Flugdrachen schwebt. Die Aktion „Vom Goldenen Vlies“ (2008) kehrt die Verhältnisse der Installation „Bodenhaftung Oben Ohne“ um: ein flächenhaft-grafisches Tiermotiv wird in räumliche Körpergestalt transformiert. Aus einem aufgespannten Flokati-Teppich, der durch zwei darauf gemalte antithetische Löwenfiguren wie ein Zitat des Dresdner Wappens wirkt, schneidet die Künstlerin die freie Mittelfläche aus und legt das Vlies nach einer Fahrt über die Elbe so über einen Holzbock, dass es wieder den räumlichen Tierkörper erscheinen lässt. Hier wird die Elbe der Künstlerin zur Ägäis, zu jener Grenze, über die Imaginatives transportiert, transformiert wird in den Körper-Raum.

Letztlich ist für Hannah Schneider jedes Werk eine Elbüberfahrt, ein Transfer vom imaginativen Flächen-Raum in den realen dreidimensionalen Raum – und umgekehrt.
In der Regel beginnt die Künstlerin ihre Visionen in der Zeichnung zu entwickeln und betont, dass sie dabei darauf bedacht ist, nicht nur Vorstellungen zu formulieren ,  sondern sich auf das freie Spiel in der Fläche des Papiers einzulassen. Nur so kann die Grenze nach innen, ins Unbewusste, überschritten werden. Die Zeichnungen sprechen diesen ersten Grenzübergang aus: sie sind einerseits „Zeichen“, stehen für Objekte und Motive, sind in diesem Be-zeichnen sicher geführt. Dem konturierenden Strich steht ein tastendes „Befragen“ der Motive gegenüber, diese überlagern sich, gehen unerwartete Konstellationen ein. Was hier, in der Zeichnung, in der Fläche gefunden wird, ist Ausgangspunkt für einen weiteren Grenzübergang, für die Realisierung im Raum.